Thüringer Allgemeine: Rückkehr für vier Wochen

02.06.2023 12:00

Als seltene Leihgabe der Gedenkstätte Yad Vashem wird das Tagebuch eines jüdischen Mädchens in Erfurt zu sehen sein

von Elena Rauch

Erfurt. Temperatur, Licht, Luftfeuchtigkeit: Alles muss stimmen. Aus dem Angermuseum wurde extra eine Spezialvitrine an den Erinnerungsort Topf & Söhne geholt. Ein solch sensibles Dokument, bemerkt Kuratorin Annegret Schüle, hatten wir hier noch nie. Und das ist nicht nur konservatorisch gemeint. Es kommt nicht oft vor, dass die Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem Exponate nach Thüringen ausleiht.

Es ist eine Rückkehr für vier Wochen: Das Tagebuch, das die Erfurter Jugendliche Miriam Feiner bis zu ihrer Auswanderung nach Palästina 1938 führte. Es war Teil der Ausstellung „Sechzehn Objekte. Siebzig Jahre Yad Vashem“, die die israelische Gedenkstätte in Berlin und Essen zeigte. Ein Dokument, das vom Selbstbehauptungswillen einer jungen Frau und ihrer Familie erzählt. Seit einem Monat lotet eine Ausstellung am Gedenkort ihre Geschichte entlang des Tagebuchs aus, für vier Wochen wird das Original ihr Herzstück sein.

Noa Or, Mitarbeiterin bei Yad Vashem, übergab es am Donnerstag persönlich an den Erinnerungsort. Dem Ort der Ofenbauer von Auschwitz. Miriams Familie lebte nur wenige Straßen entfernt. Ihre Eltern wurden im Holocaust ermordet. Viele Überlebende , sagt Noa Or, sehen in ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln einen persönlichen Sieg über die Nazis. Dass dieses Tagebuch an diesem Ort Zeugnis ablegt, sei auch ein solcher Sieg. Und ein Impuls für die Stadt, die eigene Geschichte noch tiefer auszuleuchten. Genau das sei das Anliegen der Gedenkstätte Yad Vashem.

Eine Geschichte, die noch lange nicht auserzählt ist. Als Miriams Familie zur Ausstellungseröffnung nach Erfurt kam, brachte sie ein Buch mit, in dem Miriam auf ihr Leben zurückblickt. Auch Erinnerungen aus der Erfurter Zeit sind darin zu finden. An eine Vorladung zur Gestapo, die sie nach Verbindungen zu einem Mann suchte, den sie im Visier hatten, und von der Furcht, die danach blieb. An Pausenzeiten in der Schule, in denen sie sich in der Toilette einschloss, weil sie sonst nirgends hin durfte… Ausgrenzungen, Kränkungen und Ängste, die sie nicht in ihr Tagebuch ließ, über die sie erst im Rückblick sprechen und schreiben konnte.

Neue Facetten dieses Erfurter Lebens, die auch die Ausstellung und ihr Begleitmaterial aufnehmen, erklärt Annegret Schüle. Ein Fenster in die Vergangenheit, das die zerstörerische Kraft von Antisemitismus im Leben eines Menschen greifbar mache. Darin sieht die Kuratorin ein großes didaktisches Potenzial an diesem Ort, der sich immer auch als Lernort versteht.

Zur Ausstellung „Miriams Tagebuch“ (bis 26. Mai 2024) werden Seminare und Führungen angeboten. Infos unter: www.topfundsoehne.de