Thüringer Allgemeine: Der späte Triumph einer Erfurter Familie

04.05.2023 12:00

Nachfahren von Miriam Ziv besuchen einstige Heimat. Ausstellung zeigt Schicksal der Familie

von Friedemann Mertin

Erfurt. Marion Feiner wurde als Mädchen im Erfurt der 1930er-Jahre ausgegrenzt und benachteiligt. Ihre sportlichen Erfolge bei Wettbewerben im Nordbad wurden nicht anerkannt. Ihr Klassenlehrer an der Mittelschule, heutiges Ratsgymnasium, gab ihr bewusst schlechtere Noten – weil sie jüdisch war.

Anfang 1938 wanderte die 16-Jährige mit ihrer Schwester nach Palästina aus. Ihre Eltern wurden Ende 1938 aus Erfurt nach Polen abgeschoben. Die Familie Feiner war zerrissen. 1941 gab es das letzte Lebenszeichen der Eltern.

„Trotzdem hat meine Mutter nie ein schlechtes Wort über Erfurt verloren. Auch wenn sie über schlimme Erlebnisse sprach, tat sie das nie im Groll“, erinnert sich Dalia Ziv.

Sie ist Marions Tochter und dieser Tage in der einstigen Heimat ihrer Familie zu Gast. Sie ist gemeinsam mit Marions Enkeln, Ehud und Yonatan Saly, aus Israel angereist. Anlass ist die Eröffnung der Ausstellung „Miriams Tagebuch – Die Geschichte der Erfurter Familie Feiner“ im Erinnerungsort Topf & Söhne.

Tagebuch erlaubt Einblicke ins Erfurt zur NS-Zeit

Marion Feiner nannte sich nach ihrer Ankunft im heutigen Israel Miriam Ziv. Von 1935 bis 1939 hielt sie ihre Erlebnisse in einer kleinen Kladde fest. Das Tagebuch ist ein einzigartiges Zeitdokument, auch wegen der lokalen Einblicke.

Als Dalia Ziv im März der Anruf aus Erfurt erreichte, ob sie Fotos und Unterlagen für eine Ausstellung über ihre Mutter beisteuern könnte, sei sie gleich Feuer und Flamme gewesen und habe Miriams Enkel direkt einbezogen. Vorbehalte habe es nicht gegeben. Dalia ist sicher, dass Miriam diese Form der Aufarbeitung, mit der auch junge Leute an die Geschichte des Nationalsozialismus und der Judenverfolgung herangeführt werden sollen, gutgeheißen hätte.

„Die Geschichte meiner Großmutter gehört allen. Es gibt keinen Grund, sie zu verbergen“, sagt auch Yonatan Saly. Aus seiner Sicht kann das öffentliche Interesse am Schicksal seiner Ahnen als deren später Triumph gedeutet werden. Zumal ihre Erlebnisse hoch aktuell seien.

„In Israel setzen wir uns genau jetzt mit denselben Problemen auseinander wie damals in Deutschland. Wir kämpfen gegen den Faschismus, jeden Tag protestieren wir. Daher ist dieser Besuch für mich sehr emotional“, sagt er. Er bezieht sich auf die beispiellosen Proteste in Israel gegen eine Justizreform der Regierung. Die Novelle zielt darauf, die unabhängige Justiz zu schwächen und die Demokratie auszuhöhlen, sagen Kritiker.

Dass Miriam Ziv Erfurt trotz ihrer Erlebnisse in guter Erinnerung behalten hatte, sei möglicherweise zum Eigenschutz gewesen. „Sie war wütend auf vieles, das geschehen war, aber ließ diese Gefühle nicht dominieren“, sagt Ehud Saly. Eislaufen an der heutigen Arnstädter Straße, Schwimmen im Nordbad, Eis essen, Jungs hinterhergucken – Miriam habe eben auch mit die beste Zeit im Leben in Erfurt verbracht. „Dass sich die Erfurter für das Schicksal meiner Familie interessieren, sagt viel über das heutige Deutschland aus. Danke“, betont Dalia Ziv.

Miriams Tagebuch, Ausstellung vom 3. Mai 2023 bis 24. Mai 2024, Topf & Söhne Erfurt. Weitere Infos unter: www.topfundsoehne.de