Annegret Schüle: Rede zur Eröffnung des Denkmals Große Synagoge

31.08.2022 18:00

"Wenn wir heute mit Oberbürgermeister Andreas Bausewein und der Gemeinde dieser Großen Synagoge ein Denkmal setzen und an ihre Schönheit und architektonische Präsenz erinnern, dann tun wir das aus unserer Verantwortung für die Geschichte und für den Schutz und die Stärkung jüdischen Lebens heute."

Foto:  Projektleiterin PD Dr. Annegret Schüle und Oberbürgermeister Andreas Bausewein bei der Übergabe des Denkmals Große Synagoge Foto: © Alice End

Es ist gut, dass wir heute das 70. Jubiläum der Neuen Synagoge mit so vielen Gästen feiern können, auch von mir Glückwünsche von Herzen an die Mitglieder der jüdischen Landesgemeinde!

Es ist gut, aber es ist nicht selbstverständlich.

Der Vorgängerbau an diesem Ort, die im neomaurischen Stil errichtete Große Synagoge mit 500 Sitzplätzen, wurde nach 54 Jahren geschändet, geplündert und in Brand gesetzt. Mit ihr wurde das lebendige Zentrum einer starken und selbstbewussten Gemeinde zerstört, die viel für die Entwicklung der Stadt Erfurt geleistet hat.

Bei der Einweihung 1884 war Oberbürgermeister Richard Breslau einer der Ehrengäste. In der Pogromnacht der Zerstörung im November 1938 schaute Oberbürgermeister Walter Kießling der rohen Gewalt und antisemitischen Zerstörungswut der SA- und SS-Männer sowie gewöhnlicher Bürger zu.

Danach brachte sich die Stadt Erfurt in den Besitz des Grundstückes. Erst 1947 gab sie es der jüdischen Gemeinde unter ihrem Vorsitzenden Max Cars zurück, sodass dort die Neue Synagoge gebaut werden konnte.

Wenn wir heute mit Oberbürgermeister Andreas Bausewein und der Gemeinde dieser Großen Synagoge ein Denkmal setzen und an ihre Schönheit und architektonische Präsenz erinnern, dann tun wir das aus unserer Verantwortung für die Geschichte und für den Schutz und die Stärkung jüdischen Lebens heute.

Die Geschichte gibt Reinhard Schramm recht, der immer wieder betont, dass eine bedrohte Minderheit sich nicht alleine verteidigen kann.

Ein zweijähriger Prozess der virtuellen Rekonstruktion der Großen Synagoge findet mit der Enthüllung des Denkmals Große Synagoge heute seinen feierlichen Abschluss. Unter Leitung des Erinnerungsortes Topf & Söhne wurden historische Forschung, Didaktik, Kommunikationswissenschaften, digitales Gestalten und Architektur an drei Thüringer Hochschulen mit Ausstellungsgestaltung, Grafik und modernster 3D-Drucktechnik kombiniert. Es war ein herausfordernder und ein sehr schöner Weg, mit vielen Partnerinnen und Partnern, bei denen ich mich allen herzlich bedanken möchte: der Thüringer Staatskanzlei für die Förderung, der Universität und der Fachhochschule Erfurt sowie der Universität Jena für die produktive interdisziplinäre Zusammenarbeit, der jüdischen Landesgemeinde, insbesondere Landesrabbiner Alexander Nachama für die intensive und fachkundige Beratung, und nicht zuletzt dem engagierten Team des Erinnerungsortes Topf & Söhne.

Zu Beginn gab es wenige Schwarz-Weiß-Fotografien und einige Baupläne von der Großen Synagoge. Nun gibt es drei Formate, die die Große Synagoge wieder sichtbar, erlebbar und greifbar machen. Schon viele Menschen haben mit Begeisterung die Große Synagoge mit der VR-Brille wie in Originalgröße besucht oder das Web-Modell auf Jüdisches Leben Thüringen abgerufen.

Das Tastmodell im Maßstab 1:68, das wir heute enthüllen, ist das dritte Format auf Basis digitaler Daten. Feinste bauliche Details wie die Davidsterne in den Fensterstrukturen und die hebräische Inschrift mit der Bedeutung "Denn mein Haus soll ein Gebetshaus für alle Völker genannt werden" konnten durch das 3D-Druckverfahren herausgearbeitet werden. Dabei wurde rund 6.000 Mal eine nur 0,06 mm dicke Schicht Aluminiumpulver auf eine Platte aufgetragen und punktuell mit zwei Lasern geschmolzen wurde.

Ich freue mich sehr, hier in viele Gesichter von Menschen zu sehen, die an diesem komplexen und innovativen Projekt beteiligt waren. Für manche Partner war es die erste intensive Beschäftigung mit jüdischer Geschichte und Kultur, für alle von uns wurde es zu einem Herzensprojekt.

Die vor einem Jahr fertiggestellte VR Anwendung der Großen Synagoge in der VR-Brille hat inzwischen einen festen Platz in den Bildungsangeboten der jüdischen Gemeinde und des Erinnerungsortes Topf & Söhne. Das Tastmodell der Großen Synagoge hat ab heute einen dauerhaften Platz in der Erfurter Erinnerungslandschaft – als Symbol für die historische Präsenz jüdischen Lebens vor dem Nationalsozialismus mitten in Erfurt und als klares Zeichen gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus, für Demokratie, Religionsfreiheit und Menschenrechte.