Thüringer Landeszeitung: Im Unterschied zu damals, wissen wir heute um die Folgen

26.01.2024 12:00

In ihrem Gastbeitrag zur Lage im Land befasst sich Annegret Schüle mit der Frage, welchen Gefahren die Demokratie ausgesetzt ist

von Annegret Schüle

 

Erfurt. Am 19. April 1945 versammelten sich die Überlebenden des KZ Buchenwald auf dem Appellplatz zum Gedenken an die Toten. Ihr Gelöbnis, der „Schwur von Buchenwald“, endete mit den Worten: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Bevor die Nationalsozialisten Europa mit ihrem Vernichtungskrieg überzogen und das Menschheitsverbrechen der Shoah begingen, gewannen sie die Menschen mit der Idee einer „Volksgemeinschaft“ aus den angeblich „erbbiologisch“ und „rassisch“ wertvollen Deutschen, die vermeintlich über anderen standen. Wer dieser Idee nicht zustimmte, wurde verfolgt. Wer nicht zu dieser „Volksgemeinschaft“ zählte wie die deutschen Jüdinnen und Juden, die Sinti und Roma, wurde ausgegrenzt, verfolgt, vertrieben, ermordet. Ebenso wurden Menschen mit geistiger, psychischer oder körperlicher Beeinträchtigung umgebracht, weil ihre Existenz als „lebensunwert“ galt.

Mehr als acht Jahrzehnte später zeigen Umfragen, dass die AfD in Thüringen zur stärksten Partei in den Landtagswahlen werden könnte. Das gleiche gilt für Sachsen-Anhalt und Sachsen. In allen drei Bundesländern stuft der Verfassungsschutz die AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ ein, weil sie die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen will.

Wissenschaftliche Unterstützung bekommt der Verfassungsschutz vom Deutschen Institut für Menschenrechte, einer vom Bundestag finanzierten unabhängigen Institution zum Schutz der Menschenrechte. Nach ihrer von dem Juristen Hendrik Cremer erstellten Studie vertritt die AfD einen „national-völkisch verstandenen Volksbegriff“, „der Menschen nach rassistischen Kategorien in ihrer Wertigkeit unterscheidet“. Wer für die AfD trotz deutscher Staatsangehörigkeit nicht als deutsch gilt, dem verweigere die Partei die Grund- und Menschenrechte. Sie strebe an, so das Institut, „allein willkürlich bestimmen zu können, wer in Deutschland lebt und wer nicht, was […] die Anwendung grund- und menschenrechtswidriger Gewalt einschließt“.

Schon einmal, im Jahre 1930, beteiligten in Thüringen bürgerlich-konservative Kräfte die NSDAP an einer Landesregierung und gaben ihr so die Möglichkeit, Demokratie und Rechtsstaat von innen zu zerstören.

 Im Unterschied zu damals, wissen wir heute um die Folgen, wenn Rechtsextreme, Rassisten und Antisemiten an die Macht kommen. Die im September 2023 im Alter von fast 98 Jahren verstorbene ungarische Jüdin Éva Fahidi-Pusztai wusste, wovon sie sprach, als sie im Interview mit dem Erinnerungsort Topf & Söhne sagte: „Die Demokratie müssen wir beschützen. Wenn es keine Demokratie gibt, ist es nur ein Schritt zum Massenmord – und das ist tatsächlich so.“ Éva Fahidi-Pusztai verlor 49 Angehörige im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, das sie als einzige ihrer Familie überlebte. Keines der großen Probleme, die wir als Gesellschaft haben, wird gelöst, wenn die AfD an die Macht kommt. Das Gegenteil wird der Fall sein. Auch das hat uns die nationalsozialistische Diktatur gezeigt. Jede Stimme zählt. Noch ist Zeit.