Thüringer Allgemeine: Ihre klaren und warmen Worte werden fehlen

12.09.2023 12:00

Éva Fahidi-Pusztai, Jahrgang 1925, ist tot. Sie warnte immer wieder vor den neuen Gefahren durch Menschenfeinde

von Gerlinde Sommer

Weimar. Éva Fahidi-Pusztai, Jahrgang 1925, hat Auschwitz-Birkenau sowie die Zwangsarbeit in der Munitionsfabrik Münchmühle, einem Außenlager des KZ Buchenwald, überlebt. Sie wurde in den vergangenen drei Jahrzehnten zu einer wichtigen Stimme unter den Überlebenden. Nun ist sie, beinahe 98-jährig, verstorben. An diesem Montag hat ihr langes Leben ein Ende gefunden. Weimar und Stadtallendorf trauern um ihre Ehrenbürgerin, Thüringen um eine Frau, die vielfach als Zeitzeugin zur Verfügung stand – und die Bundesrepublik um eine jener Personen, die wegen ihrer eindrucksvollen Erinnerungsarbeit zurecht das Verdienstkreuz erhalten hat.

Wichtig ist das Bestreben, ein guter Mensch zu bleiben

Éva Fahidis Familie stammt aus dem ungarischen Debrecen und war 1936 vom Judentum zum Katholizismus konvertiert. Éva und ihre kleine Schwester besuchten eine Klosterschule, der Vater hatte einen großen Holzhandel. Ende der 1930er Jahre wurden in Ungarn immer strengere antisemitische Gesetze eingeführt und dies erschwerte das Leben der Fahidis zunehmend. Als im Frühjahr 1944 die deutsche Wehrmacht Ungarn besetzte, muss Familie Fahidi ins Ghetto übersiedeln. Ende Juni wurde die jüdische Bevölkerung von Debrecen in einer Ziegelfabrik zusammengetrieben und die Fahidis wurden mit dem letzten Transport am 27. Juni 1944 nach Auschwitz/Birkenau verschleppt. Nach der Ankunft wurde Éva Fahidi von ihrer Mutter und Schwester getrennt; beide wurden im Gas ermordet. Der Vater starb wenig später im Lager.

Éva Fahidi-Pusztai verlor 49 Verwandte in Auschwitz. Éva Fahidi wurde mit weiteren 999 ungarischen Jüdinnen Mitte August 1944 zur Zwangsarbeit westwärts transportiert – nach Münchmühle, wo sie in der Granatenproduktion arbeiten musste. Sie habe nur überlebt, weil sie im Lager nicht alleine war, sagte sie mir in einem unserer zahlreichen Gespräche in den vergangenen mehr als zehn Jahren. Immer wieder berichtete sie von den anderen Mädchen, die unter den unmenschlichen Bedingungen zu Freundinnen wurden und sich aufbauten, wenn der Lebenswille schwand. Im März 1945 wurde Éva Fahidi von amerikanischen Truppen auf einem Todesmarsch befreit und kehrte nach Ungarn zurück. Sie arbeitete im Außenhandel und wollte das, was sie in Deutschland erlebt hatte, in ihrem Inneren verschließen. „Es dauert lange, bis man aus dem Hass herauskommt“, sagte die Überlebende. „Auschwitz-Birkenau kann man nicht unbeschadet überleben“, lautete eine der bitteren Wahrheiten ihres Lebens. Umso mehr Kraft hat das Vermächtnis dieser starken, mutigen und warmherzigen Frau, die als Fazit ihrer Lebenserfahrung diesen Satz sagte: „Das Wichtigste ist, dass man bestrebt ist, ein guter Mensch zu bleiben.“

1990 nahm Éva Fahidi-Pusztai an einer Versöhnungswoche in Stadtallendorf teil. Auf Bitten der Stadt verfasste sie später eine Kurzversion ihrer Memoiren in deutscher Sprache. Hieraus entstand eine erweiterte ungarische Fassung unter dem Titel „Anima rerum“. Eine deutsche Übersetzung hiervon („Die Seele der Dinge“) veröffentlichte sie unter ihrem Mädchennamen Éva Fahidi. Sie pflegte Kontakte zur Gedenkstätte Buchenwald und zum Erinnerungsort „Topf & Söhne“ in Erfurt, wo die Geschichte jener Firma aufgearbeitet wird, die die Krematorien für Auschwitz und andere KZ produzierte. Sie wurde – gerade auch in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte und in jüngerer Zeit vor allem mit Achava – zur starken Stimme gegen Nationalsozialismus, Faschismus und all der anderen Spielarten der Menschenfeindlichkeit. Martin Kranz, Achava-Intendant, sagt nach Erhalt der Todesnachricht: „Die Zeit steht still! Éva Fahidi-Pusztai hat viele Jahrzehnte für Menschenliebe und gegen den Hass in der Welt gesprochen, ob in ihrer Heimat Budapest, in Auschwitz oder Weimar-Buchenwald. Sie war klug und herzenswarm. Wir werden ihr Lachen im Herzen tragen, ihre Worte weitererzählen und sie unendlich vermissen. Sie wird niemals vergessen werden.“

Ihre wichtigste Frage: „Was bleibt nach uns von der Erinnerung?“

Das soll die richtige Antwort auf die besorgte Frage sein, die sich Éva Fahidi-Pusztai schon vor mehr als einem Jahrzehnt in einem unserer zahlreichen Gespräche stellte: „Was bleibt nach uns von der Erinnerung?“ Ihr Bemühen war es, der Jugend etwas zu hinterlassen. Denn wenn die Jugend keine Kenntnisse über die Geschichte habe, könne man ihr alles einreden, warnte Éva Fahidi-Pusztai. Sie hatte als junge Jüdin in Ungarn erlebt: „Als uns die Wehrmacht überfallen hat, wurde sie mit Feuer und Flamme empfangen, weil endlich passierte, was vermeintlich das ganze Land wollte.“ Es habe seinerzeit an einem schlagkräftigen ungarischen Untergrund und Widerstand gemangelt. „Die Folge davon ist, das Ungarn immer rechts eingestellt war, dass es nie eine Demokratie im eigentlichen Sinne gab – und dass das Land mithin überhaupt keine demokratischen Traditionen hat.“ Die Versäumnisse der Vergangenheit hatten aus ihrer Sicht fatale Folgen: Aus ihrer „Froschperspektive“, wie sie es nannte, stellte sich die Lage für sie so dar: Im Ungarn unserer Zeit sei es vor dem Hintergrund ihrer Lebenserfahrung„sehr schwer.“

Gedenkstunde am Großporträt mit Stiftung Gedenkstätte Buchenwald, Freistaat Thüringen, Internationales Komitee Buchenwald-Dora (IKBD) und Achava am Donnerstag, 14. September, um 18 Uhr am Jorge-Semprun-Platz in Weimar; Naftali Fürst (Präsident IKBD) und Eva Stocker werden Grußbotschaften via Video senden.