Thüringer Allgemeine: NS-Verbrechen in Leichter Sprache erklärt
von Casjen Carl
Erfurt. "Barrierefrei erinnern" heißt ein Projekt der Lebenshilfe Thüringen mit der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora sowie dem Erinnerungsort Topf & Söhne, für das es am Freitag den Auftakt gab. Darin sollen die NS-Verbrechen in Leichter Sprache erklärt und aufgearbeitet werden. Warum man das tut, dafür wurden in der Auftaktveranstaltung im Erinnerungsort Topf & Söhne viele Gründe genannt. Uwe Kintscher, Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender der Lebenshilfe Erfurt-Gruppe, stellt direkte Bezüge zum spürbaren Rechtsruck in der Gesellschaft her und umriss es so: Wer eine (kognitive) Beeinträchtigung hat, sei gleich doppelt Ziel der rechten Demagogen. Diese versuchen zum einen, sie zu vereinnahmen und bei Wahlen auszunutzen. Zum anderen sehen sie in Behinderten "unwertes Leben". Das habe auf erschreckende Weise die Umfrage "Thüringenmonitor" gezeigt, wo 25 Prozent der Befragten solchen Gedanken bestätigen. Und der Wert steige seit Jahren.
Gefahren durch wachsenden, offenen Rechtsextremismus
Über das neue Projekt sollen nun alle, die in ihrer Möglichkeiten zur Kommunikation beeinträchtigt sind – das können beispielsweise auch Migranten oder Menschen mit Lernbehinderungen sein – die Chance erhalten, sich über museale Angebote mit der NS-Zeit zu beschäftigen und zu bilden und sollen somit auch in die Lage versetzt werden, auf persönliche Angriffe zu reagieren. Natürlich seien die individuellen Möglichkeiten sehr unterschiedlich, aber, so Katja Heinrich, Geschäftsführerin des Lebenshilfe-Landesverbandes, auch geistig behinderte Menschen könnten solche Angebote sehr wohl nutzen und davon profitieren.
Da bisher aber nur wenige Informations- und Bildungsangebote über die Verbrechen des Nationalsozialismus und über aktuelle Gefahren der Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen oder auch anderen Menschengruppen existieren, starte nun das Kooperationsprojekt.
Gute Erfahrungen mit barrierefreien Angeboten
Wie Ausstellungen oder Führungen in Leichter Sprache wirken, das erzählten Sandra Pohlan und Kerstin Albrecht (beide Selbstvertreter-Rat Lebenshilfe) in einem kleinen Interview zum Projekt-Auftakt. Kerstin Albrecht beispielsweise habe zwar Filme zur NS-Zeit gesehen, über das Euthanasie-Programm aber erst in einer Ausstellung etwas erfahren. "Es ist erschreckend, wie viele Leute da ermordet wurden", meint Sandra Pohlan dazu. Sie habe über die von ihr genutzten Angebote den Impuls bekommen, sich mehr mit diesem Kapitel der NS-Diktatur zu beschäftigen.
Menschen mit Behinderungen spielten in den Vernichtungsszenarien der Nationalsozialisten eine große Rolle. Im Euthanasie-Programm wurden sie wie auch Männer und Frauen mit psychischen Erkrankungen systematisch ermordet. Die Zahl der Opfer summierte sich auf 300.000.
Sonderausstellung zur Euthanasie bei Topf & Söhne
"Wohin bringt ihr uns? 'Euthanasie'-Verbrechen im Nationalsozialismus" heißen die Ausstellung und die Veranstaltungsreihe, mit denen der Erinnerungsort Topf & Söhne in das Projekt startet. Aus Anlass des Beginns des Programms vor 80 Jahren wird am 8. Mai die Sonderausstellung am Sorbenweg eröffnet. Es folgen aber zahlreiche barrierefreie Vorträge, Führungen und Workshops jeweils in Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe Erfurt, die sich dem Thema im Jahresprogramm anlässlich des 30. Gründungsjubiläums besonders zuwendet.
"Der graue Bus" auf dem Domplatz
Auffälliges Ausstellungsstück im Stadtbild wird dabei das Denkmal "Der graue Bus", entworfen von Horst Hoheisel und Andreas Knitz, sein.
Zunächst wird es auf dem Domplatz stehen und – so die Hoffnung – viele Erfurter mit dem Thema konfrontieren. In grau gestrichenen Bussen waren die Behinderten während der NS-Zeit abgeholt und in die Vernichtungs-Kliniken wie Hadamar gebracht wurden. Darauf setzt auch der Ausstellungstitel "Wohin bringt ihr uns?" auf.
Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) der zum Projektstart auch zum Erinnerungsort gekommen war, lobt die Initiative der drei Partner ausdrücklich. Während bei Bauvorhaben, wie er sagte, die Barrierefreiheit inzwischen selbstverständlich sei, gebe es Nachholbedarf, was die Teilhabe an kulturellen und Bildungsangeboten betreffe.
"Wir können die Vergangenheit nicht ändern, aber aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen." Die Leichte Sprache spiele dabei eine wichtige Rolle, alle Menschen in diesem Land – so unterschiedlich sie auch sein mögen – mitzunehmen.