Veranstaltungsbericht zur Gedenkstunde am Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz

01.02.2022 15:39

Bewegende Veranstaltung mit Ministerpräsident Ramelow, Oberbürgermeister Bausewein und Landesrabbiner Nachama.

Fünf Menschen halten inne vor einer Steinplatte im Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus.
Foto: Die Mitwirkenden der Gedenkstunde: Rüdiger Bender, Vorsitzender des Förderkreises Erinnerungsort Topf & Söhne e.V., Eva Stocker-Füzesi, Überlebende der Shoah und Regisseurin der Dokumentarfilm-Trilogie "Leben nach dem Überleben", Bodo Ramelow, Thüringer Ministerpräsident, Andreas Bausewein, Erfurter Oberbürgermeister, PD Dr. Annegret Schüle am Mikrofon und Eugen Mantu am Cello (v.l.n.r.) Foto: © Stadtverwaltung Erfurt

Das Geschehene nicht zu vergessen, der millionenfachen Opfer zu gedenken und gerade in der heutigen Zeit für Demokratie und Frieden einzutreten ­– dazu riefen die Mitwirkenden an der öffentlichen Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus am Donnerstag, dem 27. Januar 2022, auf. Die Veranstaltung am Erinnerungsort, an der im Freien rund 90 Bürgerinnen und Bürger unter Beachtung der Corona-Regelungen teilnahmen, begann um 15 Uhr am Stein der Erinnerung vor dem ehemaligen Verwaltungsgebäude von Topf & Söhne. Zu den Teilnehmenden sprachen Oberkuratorin PD Dr. Annegret Schüle, Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein und der Förderkreis-Vorsitzende Rüdiger Bender. Landesrabbiner Alexander Nachama trug das Gedenkgebet „El male rachamim“ vor. Der Erfurter Musiker Eugen Mantu, dem Erinnerungsort durch vielfältige gemeinsame Aktivitäten verbunden, umrahmte die Gedenkstunde musikalisch. Die Mitwirkenden sowie viele weitere Bürgerinnen und Bürger, darunter Mitglieder des Erfurter Stadtrats und verschiedener zivilgesellschaftlicher Initiativen, legten am Stein der Erinnerung Blumen nieder; die Inschrift widmet den Stein den Toten der Lager Buchenwald, Dachau, Mauthausen, Gusen, Mogilev, Groß-Rosen, Auschwitz-Stammlager und Auschwitz-Birkenau.

Die Uhrzeit für den Beginn der Gedenkstunde war bewusst gewählt, denn vor 77 Jahren, am 27. Januar 1945 um 15 Uhr, hatten die sowjetischen Truppen das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau erreicht und die überlebenden Häftlinge befreit. Dass die Gedenkstunde am ehemaligen Firmensitz von Topf & Söhne stattfand, so führte Annegret Schüle in ihrer Rede aus, war absolut folgerichtig, sind doch das Schicksal der Opfer von Auschwitz und das Unternehmen Topf & Söhne „untrennbar miteinander verbunden“.  Nicht zufällig war es auch ein 27. Januar, nämlich im Jahr 2011, als der Erinnerungsort eröffnet wurde und sich die Stadt Erfurt damit zu ihrer Verantwortung gegenüber der Geschichte bekannte: Von diesem Firmengelände aus wurden die Öfen geliefert, mit denen die SS in Auschwitz die Leichen der Ermordeten spurlos verschwinden ließ, und die Lüftungstechnik, mit der die Keller in den Krematorien als Gaskammern betrieben wurden. Damit stellten sich die Mitarbeitenden des Erfurter Unternehmens bereitwillig in den Dienst des Massen- und Völkermords. Neben Auschwitz wurden viele weitere Lager von Topf & Söhne beliefert, darunter auch das nahe gelegene KZ Buchenwald, dessen Gebäude die Verantwortlichen von ihrem Arbeitsplatz aus sehen konnten. Mit einer Gedenkstunde gemeinsam im Alltag innezuhalten und sich der grenzenlosen Gewalt und des unermesslichen Leids zu erinnern – dies bezeichnete Annegret Schüle als wichtiges Anliegen gerade in einer Zeit, in der die Demokratie durch Kräfte von rechts außen zunehmend angegriffen werde.

Der Opfer gedenken und den aktuellen Anfeindungen gegen das demokratische System entgegentreten – dies war auch die Botschaft der weiteren Redner. Ministerpräsident Bodo Ramelow verwies auf die Einzigartigkeit der systematisch und mit erschreckender Nüchternheit verübten millionenfachen Morde – ein Völkermord, der in der Art seiner Ausführung und seinem Umfang kein Beispiel finde. Umso empörender sei es, so der Thüringer Ministerpräsident, dass Menschen im Freistaat dieses in seiner Ungeheuerlichkeit einzigartige Menschheitsverbrechen mit den staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in Verbindung brächten, beides sogar gleichsetzten. Gleichfalls mahnte Oberbürgermeister Andreas Bausewein an, aus der Vergangenheit zu lernen, Haltung zu bewahren und Gegenwehr zu leisten gegenüber denjenigen, die mit vermeintlich einfachen Antworten auf komplexe Fragen und Angriffen auf die Demokratie die Werte von Toleranz, Freiheit und einem friedlichen Zusammenleben aller Menschen missachteten und zu beseitigen suchten. Fördervereinsvorsitzender Rüdiger Bender betonte, gerade der Erinnerungsort, an dem der Schrecken des organisierten Tötens sichtbar werde, könne heute als Ort für das Leben eintreten. Er verwies diesbezüglich beispielhaft auf die vielen Bildungsveranstaltungen für Schulklassen und Studierende, die hier stattfinden. Zugleich  drückte er seinen tief empfundenen Dank gegenüber den Überlebenden aus, inzwischen hochbetagten oder leider auch verstorbenen Menschen, die mit ihren Zeugnissen die Erinnerungsarbeit an diesem Ort unendlich bereichert haben. Das große Engagement und Vermächtnis der Zeitzeugen bildet einen Schwerpunkt der diesjährigen Aktivitäten am Erinnerungsort – am Abend des 27. Januar, also wenige Stunden nach der ergreifenden Gedenkstunde, erfolgte eine Onlineveranstaltung mit der Vorführung des Films „Die Botschaft der letzten Überlebenden“, dem sich ein Gespräch mit der Überlebenden und Regisseurin Eva Stocker-Füzesi und Annegret Schüle anschloss. Die Veranstaltung ist weiterhin abrufbar:

Fotos der Gedenkveranstaltung