#closedbutopen – Einblicke in die Dauerausstellung: "Stets gern für Sie beschäftigt, …"

20.04.2020 12:00

Unsere freiberuflichen Guides geben Einblicke in ihre Arbeit mit Besuchergruppen in der Dauerausstellung "Techniker der 'Endlösung'". In diesem Beitrag spricht Bruno Lino Brauer über die Worte auf der Hausfassade des Erinnerungsortes: "Stets gern für Sie beschäftigt, …"

#closedbutopen

Foto: © Stadtverwaltung Erfurt, Dirk Urban

Unsere freiberuflichen Guides geben Einblicke in ihre Arbeit mit Besuchergruppen in der Dauerausstellung "Techniker der 'Endlösung'".  Sie stellen verschiedene Stationen oder zentrale Dokumente vor. Dabei erzählen sie, warum diese für sie besonders wichtig sind, welche Fragen sich in der Auseinandersetzung mit ihnen für unsere Gegenwart ergeben und welche Gespräche sich mit unseren Gästen entwickeln.

Bruno Brauer (20 Jahre), ehemaliger FSJ-Freiwilliger am Erinnerungsort, ist seit September letzten Jahres als Guide tätig.

Das Schreiben von Topf & Söhne an die SS in Auschwitz vom 2. Februar 1943 ist in der Außenausstellung zu sehen. "Stets gern für Sie beschäftigt, …" – die Gruß- und Schlussformel des Briefes steht exemplarisch dafür, dass die Firma das Ungeheuerliche als Normalität behandelte.

"Stets gern für Sie beschäftigt…"

Foto: Blick auf den Erinnerungsort Topf & Söhne Foto: © Stadtverwaltung Erfurt

Diese Gruß- und Schlussformel ist in großen Buchstaben an der Hausfassade des Erinnerungsorts Topf & Söhne angebracht. Sie drückt aus, wie die Geschäftsbeziehungen mit der SS von der Firma J. A. Topf & Söhne bewertet wurden.

Die Worte regen auf irritierende Weise zum Nachdenken an. Denn sie verdeutlichen, dass das Unternehmen den Zivilisationsbruch als Normalität behandelte und wie sich deutsche Ingenieure und Unternehmer am nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen mitschuldig machten.

Der Brief vom 2. Februar 1943, dem der Satz auf der Hauswand entnommen wurde, zeigt besonders deutlich: Das Geschäftsverhältnis zwischen der SS und der Firma J. A. Topf & Söhne war eine Beziehung auf Augenhöhe und nicht von Zwang geprägt, wie man bei einer ersten Betrachtung vielleicht vermuten würde. Genau diesen Punkt arbeite ich mit Besuchergruppen an diesem Dokument heraus. Zu Beginn der Führung frage ich nach den möglichen Motiven der Beteiligten für ihre Zusammenarbeit mit der SS. Meistens wird "Zwang" als ein Hauptgrund genannt und kann dann an diesem Dokument gemeinsam zum ersten Mal dekonstruiert werden.

Foto: Blick auf die Außenausstellung des Erinnerungsortes Topf & Söhne Foto: © Stadtverwaltung Erfurt

Der Brief antwortet auf ein Telegramm der SS, das die Anwesenheit von Kurt Prüfer in Auschwitz-Birkenau "jede Woche 2-3 Tage unbedingt" forderte. Prüfer war Ingenieur, er entwickelte die Öfen für die SS und leitete den Aufbau und die Inbetriebnahme in den Lagern. Seine fast permanente Anwesenheit verlangte die SS in Auschwitz im Februar 1943, weil sie die von SS-Chef Himmler persönlich befohlenen Fertigstellungstermine für die Krematorien nicht einhalten konnte und deshalb unter großem Druck stand. In ihrem Antwortschreiben geht die Firma jedoch nicht auf die klare Forderung der SS ein und weicht einer Festlegung, wann, wie oft und wie lange Prüfer nach Auschwitz kommt, aus. Die meisten Besucher/-innen reagieren mit Verwunderung und auch Unglauben darauf und zeigen danach oft ein gesteigertes Interesse an der Frage, welche Motive tatsächlich zur Zusammenarbeit mit der SS führen konnten. Die gemeinsame Analyse und Interpretation des Schreibens von Topf & Söhne an die SS ist ein guter Einstieg in die anschließende Spurensuche in den Firmenunterlagen während des gemeinsamen Rundgangs durch die Innenausstellung.

Bruno Lino Brauer

 

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