Mitwisser und Mittäter in der Firma

Mitwisserschaft und Mittäterschaft haben trotz aller Vertuschungsbemühungen Spuren hinterlassen. Sie finden sich, teils versteckt, in den hier ausgebreiteten Dokumenten. Geschäftsleitung, Ingenieure und Monteure lieferten gemäß den Anforderungen der SS nicht nur Verbrennungsöfen für die Beseitigung der ermordeten Menschen – sie perfektionierten auch die Gaskammern. Dazu war es nötig, die ersten Massentötungen und Verbrennungen in den Krematorien zu beobachten. Die beteiligten Mitarbeiter nutzten ihre Erfahrungen zur Optimierung der Vernichtungsanlagen.

Foto: Die Beweisstrecke in der Dauerausstellung „Techniker der ‚Endlösung‛‟ Foto: © Stadtverwaltung Erfurt, Kastner Pichler Architekten

Topf & Söhne 1939: Der Einstieg in das KZ-Geschäft

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs trat die SS an Topf & Söhne heran und orderte Verbrennungsöfen für eigene Krematorien in den Konzentrationslagern. Um dem neuen Auftraggeber ein schnelles und kostengünstiges Verbrennen von Leichen zu ermöglichen, stellte das Unternehmen zunächst mobile Verbrennungsöfen zur Verfügung. Innerhalb kurzer Zeit entwickelten Ingenieure von Topf & Söhne daraus die ersten stationären Öfen für die Konzentrationslager Buchenwald und Dachau.

Die Praxis der Leichenverbrennung in den Lagern

Foto: Aschekapsel aus dem Krematorium Buchenwald Foto: © Peter Hansen

Die von Topf & Söhne installierten Öfen unterschieden sich erheblich von Einäscherungsöfen in Krematorien außerhalb der Lager. Die Toten wurden nicht mehr einzeln und in Särgen verbrannt, die Asche der Menschen nicht mehr voneinander getrennt.

Topf & Söhne lieferte auch Aschekapseln, Beschriftungsapparate für deren Deckel und Schamottemarken. Entsprechend der Pietätsvorstellung und den rechtlichen Vorgaben des Feuerbestattungsgesetzes dienten Schamottemarken und beschriftete Deckel dazu, zweifelsfrei sicherzustellen, wessen Asche sich in einer Kapsel befand. In den Konzentrationslagern wurden sie hingegen zu einem ganz anderen Zweck benutzt. Da in den hier verwendeten Öfen Tote nicht mehr einzeln verbrannt wurden und deshalb keine Aschetrennung möglich war, täuschten diese Gegenstände über die wahren Verhältnisse in den Lagern hinweg. Angehörige von sog. reichsdeutschen Häftlingen konnten nämlich bis etwa 1942 gegen Gebühr die Asche von im KZ Buchenwald umgekommenen Verwandten anfordern. In solchen Fällen wurde eine Kapsel wahllos mit Asche gefüllt, eine Schamottemarke hinzugefügt und der Deckel entsprechend beschriftet.

Topf & Söhne 1941: Neue Anforderungen in Auschwitz-Birkenau

Foto: Heinrich Himmler (Mitte) beim Studium von Bauplänen in Auschwitz, 18. Juli 1942 Foto: © Stadtverwaltung Erfurt, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau

Im Laufe der Planungen für ein Lager in Birkenau, etwa drei Kilometer vom Stammlager in Auschwitz entfernt, erhielt Topf & Söhne seit Herbst 1941 von der SS neue Aufträge. Zunächst war in Birkenau ein riesiges Lager für sowjetische Kriegsgefangene vorgesehen, für das auch ein neues Großkrematorium gebaut werden sollte.

Topf & Söhne wurde von der SS-Zentralbauleitung mit der Entwicklung von leistungsstärkeren Öfen beauftragt. Kurt Prüfer entwarf daraufhin den sog. Dreimuffel-Ofen.

Während das neue Lager errichtet wurde, erhielt Auschwitz-Birkenau jedoch eine neue Funktion: es wurde zum Vernichtungslager und einem Zentralort des Völkermords an den europäischen Juden und den Sinti und Roma.

Für die Bauplanung und die Errichtung der Krematorien war die „Zentralbauleitung“ (ZBL) der SS in Auschwitz zuständig. Hier arbeiteten etwa 30 Ingenieure und Architekten. Ihr Chef war der Bauingenieur Karl Bischoff. Er war nicht der Kommandantur des Lagers, sondern direkt dem Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, unterstellt.

Bearbeitung der Aufträge in Erfurt

Foto: Zeichensaal im Verwaltungsgebäude von J. A. Topf & Söhne Foto: © Stadtverwaltung Erfurt, Landesarchiv Thüringen - Hauptstaatsarchiv Weimar

Wie auch bei anderen Großaufträgen waren verschiedene Firmenabteilungen an der Abwicklung der Aufträge aus Auschwitz beteiligt: Das Angebot wurde in der Verwaltung kalkuliert, die Einzelteile der Öfen gelangten in den verschiedenen Werkstätten zur Fertigung, in der Versandabteilung wurden sie verpackt, mit der Bahn verschickt und dann von der Buchhaltung in Rechnung gestellt. Kurt Prüfer stand derweil im ständigen Kontakt mit der SS-Zentrale in Berlin und bemühte sich, den „dringenden Rufen“ der SS mit weiteren Öfen für Auschwitz Folge zu leisten.

Mitwisser- und Mittäterschaft

Topf & Söhne lieferte nicht nur die Öfen für die Großkrematorien von Birkenau, sondern auch die Be- und Entlüftungsanlagen für die Gaskammern. Deren Funktion war den Ingenieuren bereits in der Planungsphase bekannt. Kurt Prüfer war mindestens ein Dutzend Mal in Birkenau. Sein Kollege Karl Schultze, der Leiter der Abteilung Gebläsebau, begleitete ihn mehrmals. Arbeitspapiere der Monteure von Topf & Söhne, die in Birkenau den Aufbau der Anlagen leiteten, belegen, dass sie wussten, wofür die von ihnen installierte Technik genutzt wurde:

Die Telefonnotiz (siehe Abb. 1) belegt, dass auch Mitarbeiter, die Auschwitz nie besuchten, aber mit der Auftragserledigung zu tun hatten, über den beabsichtigten Gasmord in den Krematorien informiert waren. Dass in dieser Notiz das Wort „Gaskeller“ auftaucht, zeigt, wie selbstverständlich in der Firma mit der technischen Dienstleistung für den Massenmord umgegangen wurde. Die Handschriften und Kürzel belegen, dass die Notiz durch die Hände von Ludwig Topf, Betriebsdirektor Gustav Braun, des kaufmännischen Prokuristen Max Machemehl und des Leiters des Einkaufs Florentin Mock gegangen ist.

Heinrich Messing häufte in einer Woche 35 Überstunden an, als er im März 1943 die Lüftung in den zwei Kellerräumen des Krematoriums II, dem späteren Auskleidekeller und der späteren Gaskammer, installierte. In seinem Arbeitsnachweis bezeichnete er den größeren Raum zutreffend als „Auskleidekeller“, statt die Tarnbezeichnung der SS, „Leichenkeller“, zu verwenden (siehe Abb. 2). Ihm war also bewusst, in welchen Schritten sich der Massenmord vollziehen würde.

Optimierung der Vernichtungsanlagen

Foto: Vier der fünf Dreimuffel-Öfen in Krematorium II Foto: © Stadtverwaltung Erfurt, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau

Die Ingenieure Kurt Prüfer und Karl Schultze waren für die SS in Auschwitz nicht nur offizielle Repräsentanten des Zulieferers Topf & Söhne. Sie waren auch die ersten Ansprechpartner, wenn die SS-Bauleitung von Berlin aus unter Druck geriet. Bei der Frage, wie der Massenmord in den neuen Krematorien noch effektiver durchgeführt werden könnte, standen sie der SS mit Rat und Tat zur Seite.

Im Januar 1943 war die Zentralbauleitung in Auschwitz in Schwierigkeiten, weil ihr die vom Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, befohlene Fertigstellung der Krematorien II und IV nicht rechtzeitig gelang. In dieser Situation erstellte Kurt Prüfer – auf dem Geschäftspapier der SS – einen Bericht über den Baufortschritt der Krematorien insgesamt und bestätigte der SS-Bauleitung, dass „trotz der großen Bauaufgaben und der Witterungs- und Materialbeschaffungsschwierigkeiten die Arbeiten flott vorangegangen sind“. SS-Bauleiter Karl Bischoff schickte den Bericht Prüfers an Hans Kammler, Chef der Amtsgruppe C „Bauwesen“ im Wirtschafts-Verwaltungshauptamt der SS (siehe Abb. 1).

Im Februar 1943 schlug Kurt Prüfer der SS vor, die Gaskammern mit der Abwärme der Verbrennungsöfen vorzuheizen (siehe Abb.2). Für die SS war dies sinnvoll, da Zyklon B bei etwa 26°C seine tödliche Wirkung am schnellsten entfaltet. Als Nebeneffekt versprach sich Kurt Prüfer von dieser Installation eine Abkühlung der an den Öfen zur Leistungssteigerung montierten Saugzuganlagen. Der Vorschlag wurde von der SS sofort in die Tat umgesetzt, wie das Schreiben von Karl Bischoff, Leiter der SS-Bauleitung, an Topf & Söhne vom 6. März 1943 belegt . Aufgrund der hohen Belastung der Öfen wurden die Saugzuganlagen jedoch weiterhin so heiß, dass sie wieder demontiert werden mussten und die Gaskammer nicht vorgeheizt werden konnte.

Die Krematorien von Auschwitz-Birkenau

Foto: Krematorium III in Auschwitz-Birkenau, 1943 Foto: © Stadtverwaltung Erfurt, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau

Mit der Inbetriebnahme der vier neuen Krematorien im Frühjahr 1943 standen der SS in Auschwitz regelrechte „Todesfabriken“ zur Verfügung. Die installierten Anlagen sollten den reibungslosen Ablauf des Massenmordes gewährleisten. Erstmals in der Geschichte wurden Menschen wie am Fließband getötet und verbrannt.

Wie aus dem Schreiben an das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt vom 28. Juni 1943 ersichtlich ist, ging die Zentralbauleitung für die neuen Krematorien II – V bei ihrer Berechnung davon aus, dass in der Verbrennungskammer (Muffel) eines Ofens zwei Leichen in einer halben Stunde verbrannt werden (siehe Abb. 2). Nach Aussagen von Häftlingen des Sonderkommandos wie auch vom Lagerkommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß, wurde diese Zahl in der Praxis überschritten. In einer Muffel ließ die SS drei bis fünf Leichen verbrennen. Waren die Ermordeten ausgemergelt oder handelte es sich um Kinder, konnten es bis zu acht sein. So war es möglich, an einem Tag in den Krematorien II und III jeweils etwa 2 500, in den Krematorien IV und V jeweils etwa 1 500 Leichen zu verbrennen. Diese Zahlen wurden in der Regel nicht erreicht. Im Sommer 1944, als täglich bis zu 9 000 Menschen ermordet wurden, war die Verbrennungskapazität der Öfen jedoch nicht mehr ausreichend. Die SS ließ die Leichen zusätzlich in Gruben verbrennen.

Auschwitz – Zentrum der Vernichtung

Foto: Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, ehemalige Rampe, 2014 Foto: © Stadtverwaltung Erfurt

Mit den neuen Krematorien war Auschwitz-Birkenau 1943 zum größten Vernichtungslager des nationalsozialistischen Deutschlands geworden. Es war außerdem Teil eines riesigen Lager- und Industriekomplexes, in dem die Ausbeutung der Arbeitskraft und der Massenmord miteinander verbunden wurden. In den Gaskammern, durch Erschießungen und Misshandlungen oder die schlechten Lebensbedingungen starben in Auschwitz mindestens 1,1 Millionen Menschen. Über 960 000 Juden aus ganz Europa, bis zu 75 000 Polen, 21 000 Sinti und Roma, 15 000 sowjetische Kriegsgefangene und 15 000 Häftlinge verschiedener Nationalität wurden hier um ihr Leben gebracht.