#closedbutopen – Einblicke in die Dauerausstellung: Die Berichte der Sonderkommandohäftlinge

09.04.2020 12:00

Unsere freiberuflichen Guides geben Einblicke in ihre Arbeit mit Besuchergruppen in der Dauerausstellung "Techniker der 'Endlösung'". In diesem Beitrag spricht Bruno Lino Brauer über die Berichte der Häftlinge der Sonderkommandos. Für ihn sind sie der berührendste Teil der Ausstellung.

#closedbutopen

Foto: Der Guide Bruno Lino Brauer bei einer Führung durch die Dauerausstellung "Techniker der 'Endlösung'" Foto: © Stadtverwaltung Erfurt

Unsere freiberuflichen Guides geben Einblicke in ihre Arbeit mit Besuchergruppen in der Dauerausstellung "Techniker der 'Endlösung'".  Sie stellen Ihnen verschiedene Stationen oder zentrale Dokumente vor. Dabei erzählen sie, warum diese für sie besonders wichtig sind, welche Fragen sich in der Auseinandersetzung mit ihnen für unsere Gegenwart ergeben und welche Gespräche sich mit unseren Gästen entwickeln.

Bruno Lino Brauer (20 Jahre), ehemaliger FSJ-Freiwilliger im Erinnerungsort, ist seit September letzten Jahres als Guide tätig. Die Berichte der Häftlinge der Sonderkommandos sind für ihn der berührendste Teil der Ausstellung:

“Von dem ganzen Transport ist nur ein kleiner Haufen ausgebrannter Knochenstücke geblieben..."

Foto: Besuchergruppe in der Ausstellung Foto: © Stadtverwaltung Erfurt, Dirk Urban

“Von dem ganzen Transport ist nur ein kleiner Haufen ausgebrannter Knochenstücke geblieben, der in der Grube auf einer Seite niedergelegt wurde. Danach wurden sie hinausgeworfen und verstreut und dann mit [Erde] bedeckt, wonach auf der eingeebneten Oberfläche [Bäume gesetzt] wurden. Es sollte auch nicht die geringste Spur von menschlichem Leben übrigbleiben.” Aus den heimlichen Aufzeichnungen von Lejb Langfuß, Häftling des Sonderkommandos, vermutlich Ende 1944 von der SS ermordet.

Die Arbeit mit den Zitaten der Häftlinge der Sonderkommandos und dem Urnenfeld sind ein entscheidender Bestandteil meiner Arbeit mit Gruppen. Wichtig ist es mir, diesen Teil der Ausstellung mit Teilnehmenden intensiv zu behandeln und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich mit den Zitaten selbstständig zu beschäftigen.

Foto: Blick in die Dauerausstellung "Techniker der 'Endlösung'" Foto: © Stadtverwaltung Erfurt

Die Zitate und das Urnenfeld bedeuten mir viel, da sie die einzige Möglichkeit darstellen, mit den Teilnehmenden die Perspektive zu wechseln. In der Führung wurde sich bis zu diesem Punkt mit der Geschichte der Firma J.A. Topf & Söhne und ihren Mitarbeitern beschäftigt. Nun, am Ende des Rundgangs wechselt der Blickwinkel von den Tätern hin zu den Opfern. Den Teilnehmenden werden dadurch die Konsequenzen und Dimensionen des Handelns von Firma und Mitarbeitern noch einmal besonders deutlich. Im Gegensatz zu der technischen Sprache der Firmendokumente ist die Sprache der Zitate sehr emotional und bewegend. So kommt es auch häufig zu emotionalen Reaktionen der Teilnehmenden. Diesen muss Raum gegeben werden und meistens entstehen in der Folge sehr angeregte Gespräche.

Die Berichte der Sonderkommandohäftlinge schaffen außerdem noch einmal mehr Bewusstsein bei den Teilnehmenden, welche Ziele die SS in Auschwitz-Birkenau verfolgte: die komplette Entrechtung und Entmenschlichung der Opfer vor und nach ihrem Tod und die Vernichtung jeglicher Spur menschlichen Lebens. Gleichzeitig bezeugen sie aber auch den Widerstand der Häftlinge gegen diese Ziele: Die in den Kassibern gefundenen Briefe und Zeichnungen sind eines der persönlichsten Zeugnisse vom Widerstand gegen das NS-System, die mir in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus begegnet sind. Sie sind Zeugnisse vom Widerstand in einer hoffnungslosen Situation und nehmen uns als Gesellschaft in die Pflicht, an das Geschehene zu erinnern.

Bruno Lino Brauer

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