Annegret Schüle: Begrüßung zur Eröffnung der Sonderausstellung "Die zwei Tode des Paul Schäfer"

25.08.2018 17:00

"Wir machen deutlich, dass Erinnerungspolitik sich nicht in uninteressanten Ritualen von gestern erschöpft, sondern eine Geschichte verbirgt, die einen Betrieb und eine Straße aus der eigenen Stadt plötzlich mit der großen Diktatur- und Verbrechensgeschichte des 20. Jahrhunderts in Verbindung bringt."

Annegret Schüle, Kuratorin der Ausstellung

Foto: Dr. Annegret Schüle, Kuratorin des Erinnerungsortes Topf & Söhne Foto: © Stadtverwaltung Erfurt

Lieber Thomas Schäfer,
liebe Familie Schäfer,
sehr geehrter Jörg Schmid, Vertreter der Staatskanzlei,
lieber Dr. Hartinger, Direktor der Erfurter Geschichtsmuseen,
liebe Nanna Funke,
lieber Steffen Sendelbach vom Büro Funkelbach für Architektur und Grafikdesign,
lieber Herr Löffler von der Rosa-Luxemburg-Stiftung,
sehr geehrte Damen und Herren,

im Januar 2016 erzählte mir Thomas Schäfer, damals noch Student und Teilnehmer einer von mir betreuten Exkursion in die Gedenkstätte Auschwitz, dass sein Uropa Paul Schäfer im stalinistischen Terror ermordet, aber unter der falschen Legende als Spanienkämpfer in der DDR geehrt worden war. Aus dieser Geschichte machen wir gemeinsam eine Ausstellung, beschloss ich in diesem Moment.

Was fand ich so interessant an Paul Schäfer und dem Umgang mit ihm in der DDR? Er war das Kind einer alleinerziehenden Schuharbeiterin, begann selbst mit 14 Jahren, zu arbeiten, war im Ersten Weltkrieg Soldat, wurde früh Vater und heiratete eine Arbeitskollegin. Er engagierte sich als Betriebsrat und zog für die KPD in die Erfurter Stadtverordnetenversammlung ein. Diese Geschichte aus der boomenden Industriestadt Erfurt zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit großen sozialen Gegensätzen und einer selbstbewusst und kämpferisch werdenden Arbeiterschaft ist interessant, zumal angesichts des Thüringer Themenjahres "Industrialisierung und soziale Bewegungen", aber nicht ungewöhnlich.

Wie viele seiner Generation war Paul Schäfers Leben geprägt vom „Zeitalter der Extreme“: Als überzeugter Kommunist gelang ihm der Aufstieg vom Schuharbeiter zum Bezirkssekretär der weltweit agierenden Internationalen Arbeiterhilfe. 1925 bereiste er mit einer Arbeiterdelegation die Sowjetunion, die zu seinem Sehnsuchtsland wurde. Dort, glaubte er, werden die kommunistischen Hoffnungen verwirklicht werden. Nach 1933 im Widerstand gegen die Nationalsozialisten aktiv, wurde er in die Flucht gezwungen und emigrierte 1935 nach Moskau.

Auch seine Ermordung im stalinistischen Terror, am 26. Juli 1938 in der Massenhinrichtungsstätte Butowo bei Moskau, hebt sein Lebensende noch nicht ab vom Schicksal hunderter deutscher Kommunisten, die sich vor der nationalsozialistischen Diktatur in die Sowjetunion retten konnten und dort vom sowjetischen Geheimdienst hingerichtet wurden.

Einmalig macht sein Schicksal eine Lüge, die uns heute bizarr erscheint, wenn wir die Rolle von Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck in der Moskauer KPD-Exilleitung und später in der DDR bedenken. Ulbricht und Pieck bekräftigten damals in Moskau die Verhaftung ihrer Genossen durch den sowjetischen Geheimdienst, indem sie alle, auch Paul Schäfer, umgehend aus der Partei ausschlossen. Das Dokument dazu sehen Sie in der Ausstellung, im Ordner „Lüge und Wahrheit“. Warum sollte die DDR, ein Staat unter Führung von Ulbricht und Pieck, eines dieser Opfer des Stalinismus, ihres Stalinismus, mit einem erfundenen Tod als Opfer des Faschismus ins Rampenlicht der Propaganda stellen?

Einiges spricht dafür, dass die Legende vom Tod Paul Schäfers in Spanien nicht als Propagandalüge in die Welt gesetzt wurde. Ein unbekannter Bearbeiter des Antrags der Witwe Hulda Schäfer auf Anerkennung als Angehörige eines Opfers des Faschismus im November 1945 bei der Stadt Erfurt ergänzte das Formular durch die Anmerkungen "roter Spanienkämpfer" und "Radiomeldungen". Dieser früheste Hinweis auf Paul Schäfer als „Spanienkämpfer“ sehen Sie zu Beginn der Ausstellung. Vermutlich war dieser Unbekannte selbst Verfolgter im Nationalsozialismus. Vielleicht glaubte er tatsächlich, dass der Tod eines Paul Schäfer im spanischen Bürgerkrieg über eine illegal ins Deutsche Reich sendende Radiostation gemeldet worden war. Tatsächlich war ein Karl Schäfer dort unter ähnlichen Umständen gestorben, wie sie später Paul Schäfer angedichtet wurden.

Wir kennen die Motive dieses Bearbeiters nicht, aber wir wissen sicher, dass die SED in Thüringen ab 1946 die Legende aktiv verbreitete, Paul Schäfer wäre in Spanien gestorben – wo er nie war, wie wir mit unseren Forschungen nachweisen konnten.

Ulbricht und Pieck wussten vom wahren Tod Paul Schäfers, weil sie den Terror gegen ihn und viele andere mit deren Parteiausschluss gebilligt hatten. Erich Weinert wusste es, weil seine Frau und er mit Paul Schäfer und dessen Lebensgefährtin Anna Löchner in Moskau befreundet waren und sich Elisabeth Weinert für den Verhafteten eingesetzt hatte.

Die Wahrheit ist wohl: Für die, die die wahre Geschichte kannten, war es eine Lüge mehr im Stalinismus, eine Lüge, der zu widersprechen sie nicht wagten, die sie selbst mittrugen oder aktiv am Leben hielten.

Und für uns heute? Als zeitgeschichtliches Museum geben wir mit dieser Ausstellung den Erfurterinnen und Erfurtern ein Stück ihrer Stadtgeschichte zurück. Wir machen deutlich, dass Erinnerungspolitik sich nicht in uninteressanten Ritualen von gestern erschöpft, sondern eine Geschichte verbirgt, die einen Betrieb und eine Straße aus der eigenen Stadt plötzlich mit der großen Diktatur- und Verbrechensgeschichte des 20. Jahrhunderts in Verbindung bringt.

Die Ausstellung hat mehrere Dimensionen und darüber freue ich mich besonders. Sie beginnt mit den Erinnerungsspuren zu Paul Schäfer in der DDR und der Legende vom Tod in Spanien. Danach können Sie mit Fotos und Dokumenten in das Leben und die Lebensumstände eines jungen Erfurter Arbeiters zu Beginn des 20. Jahrhunderts eintauchen. Sie sehen Kampfbereitschaft, Solidarität und Selbstorganisation, aber auch politischen Dogmatismus und Kritiklosigkeit gegenüber der Sowjetunion. Sie spüren die Gefahren einer rechtsextremen, nationalsozialistischen Verfolgungsmaschinerie und Sie sind konfrontiert mit der absurden und schon wenig später, nämlich 1940, vom sowjetischen Geheimdienst selbst widerlegten Konstruktion, Paul Schäfer wäre ein faschistischer Spion. Sie sehen die Zeugnisse seines tragischen Endes, sein letztes Foto aus der Moskauer Haft und ein lapidarer Protokollauszug, in dem auf einem Standard-Formular handschriftlich der Vollzug der Hinrichtung für die Geheimdienstakten vermerkt ist.

Der historische Kontext, den Paul Schäfer aktiv mitgestalten wollte und dessen Opfer er wurde, wird immer wieder in grün gestalteten "Fenstern in die Geschichte" erläutert. Anschauliche Leihgaben aus dem Stadtmuseum und aus Privatbesitz geben Ihnen einen sinnlichen Eindruck der Geschichten.

Über Media-Guides können Sie an vier Stationen Erfahrungsgeschichte abrufen. Sie hören Berichte von Thomas Schäfer, Willi Münzenberg, seiner Frau Babette Groß und deren Schwester Margarete Buber-Neumann.

Brisantes und zum Weiterdenken anregendes Material verbirgt sich in diesem unscheinbaren Ordner "Lüge und Wahrheit", der auf dem gleichnamigen Tisch am Ende der Ausstellung liegt. Während die Grafikwände mit Paul Schäfers Tod in Moskau enden, enthält dieser Ordner Texte und Quellen zur Nachgeschichte: Wer kannte die Wahrheit über den Tod Paul Schäfers in der DDR? Wer verbreitete die Legende über den Tod Paul Schäfers in Spanien? Wann kam die Wahrheit ans Licht?

Diese Ausstellung ist eine partizipative Ausstellung: Sie ist es, weil sie gemeinsam mit Thomas Schäfer und seiner Familie entstand und ich freue mich sehr, dass die Forschung und die Veröffentlichung der Ergebnisse von der Familie dankbar und als Bereicherung aufgenommen wird.

Diese Ausstellung ist aber auch deshalb partizipativ, weil die weitere Geschichte der Erinnerung an Paul Schäfer von Ihnen, liebe Ausstellungsbesucherinnen und -besucher mitgestaltet wird. Wir haben drei Fragebögen für Ihre Gedanken über die Geschichte und die Ausstellung vorbereitet und wir bieten Ihnen an, dass diese konkrete Folgen haben. Sie werden in der Ausstellung die originale Gedenktafel am Erfurter Wohnhaus Paul Schäfers aus den 1950er Jahren mit dem Text "Im Kampf gegen den Faschismus gab er sein Leben" sehen können. Die Eigentümer des Hauses, Frau Bechthold-Schlosser und Herr Schlosser, haben uns dieses Schild geliehen und sie und wir sind ganz gespannt, wie nach dem Ende der Ausstellung damit verfahren werden könnte: Zurückhängen? Ersetzen? Zurückhängen und durch eine kommentierende Tafel ergänzen?

Insbesondere die ehemaligen Beschäftigten des VEB Paul Schäfer laden wir dazu ein, sich mit ihren Erfahrungen und Gedanken an dieser Diskussion zu beteiligen. Exklusiv für Sie bieten wir eine Führung am 14. September an und Sie möchten wir gerne in einem Radioprojekt zur Ausstellung im Dezember mit Jugendlichen ins Gespräch bringen.

Am 15. September, dem 124. Geburtstag von Paul Schäfer, laden wir zu einer ersten Stadtteilführung im Erfurter Norden ein, auf den Spuren seines Lebens und politischen Wirkens.

Die zahlreichen anderen spannenden und hochinformativen Angebote können Sie dem Programmheft entnehmen, gleich am nächsten Dienstag zum Beispiel bieten wir Ihnen einen Abendvortrag von Annette Leo über Antifaschismus in der DDR als Erinnerungskultur und Herrschaftssicherung.

Wir waren und sind ein Team, das gemeinsam die Quellen suchte und erforschte, die Exponate zusammentrug, Stunden über Stunden am Konzept und an den Texten feilte. Ich habe sehr gerne mit Euch gearbeitet, Stefan Weise, Thomas Schäfer und Juliane Podlaha. Freuen Sie sich, liebe Gäste, auf die wissenschaftliche Publikation über die Legende und Lebensgeschichte von Paul Schäfer, die unser eingespieltes Team in den nächsten Monaten für die Herausgabe bei der Landeszentrale für politische Bildung erarbeiten wird und die Anfang nächsten Jahres hier vorgestellt wird.

Rebekka Schubert hat die pädagogischen Angebote gestaltet, die Audioproduktion lag in den Händen von Andreas Kubitza. Mitgewirkt haben auch Verena Bunkus und Annekathrin Patrizia Kottlick bei den Recherchen sowie Jörgen Schlosser, Isabel Heide, Hannah Bloch und Lisa Caspari beim Aufbau. Ohne die Museologin Corina Worm wären die Vitrinen überwiegend leer und das umsichtige Projektmanagement von Steffi Gorka half, den Überblick über die Finanzen zu behalten. Die vielen weiteren Beteiligten sind im Impressum genannt. Unter den Historikern, die dort aufgeführt sind, möchte ich Dr. Wladimir Hedeler hervorheben. Er wurde selbst als Sohn eines deutschen Kommunisten in der Verbannung in Tomsk geboren und gab uns wertvolle Hinweise zu den Akten in den Moskauer Archiven. An dieser Stelle auch einen herzlichen Dank an das Stadtmuseum und das Stadtarchiv für die gute Kooperation.

Unser Ausstellungsteam hatte eine kreative Außenstelle in Leipzig, die verantwortlich war für das ästhetische Gelingen und diese Aufgabe bravourös gemeistert hat. Es hat große Freude gemacht, mit Euch zu arbeiten, Nanna Funke und Steffen Sendelbach vom Büro Funkelbach für Architektur und Grafikdesign Leipzig.

Um eine Ausstellung zu machen, braucht es Leidenschaft, aber auch Geld. Herzlichen Dank für die Förderung durch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die Thüringer Staatskanzlei und die Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Ich bedanke mich bei Eugen Mantu und Yuki Nishio für die Aufführung der Sonate d-Moll für Violoncello und Klavier von Dmitri Schostakowitsch, die wir jetzt zum Abschluss zu Ende hören werden.

Danach werden die Türen zur Ausstellung geöffnet werden. Nach dem Besuch der Ausstellung lädt Sie der Förderkreis, dessen Vorsitzenden Rüdiger Bender und weitere Vorstandsmitglieder ich ebenfalls herzlich begrüße, zu einem Glas Sekt ein.