Sven Gerich: Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung "Industrie und Holocaust" im Stadtmuseum am Markt in Wiesbaden

07.08.2018 19:00

"Es ist wichtig, Fragen nach Verantwortung, Handlungsspielräumen, Motiven und Schuld zu stellen."

Sven Gerich, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Wiesbaden und Schirmherr der Ausstellung

Foto: © Stadtverwaltung Erfurt

Meine sehr geehrten Damen und Herren,            
sehr geehrte Frau Beigeordnete Hoyer,  
sehr geehrte Frau Dr. Schüle,          
sehr geehrter Herr Stadtkämmerer Imholz,       
sehr geehrte Frau Philipps,

die Eröffnung der heutigen Ausstellung ist in dreifacher Hinsicht etwas Besonderes: Zum einen ist sie herausragend, weil mit ihrer Erarbeitung ein wichtiger geschichtlicher Aspekt der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands behandelt wird.

Angestoßen durch den „Förderkreis Geschichtsort Topf & Söhne“ setzten sich seit dem Ende der 1990er Jahre in Erfurt unterschiedliche Akteure aus Wissenschaft, Kunst und Kultur mit dem historischen Ort in Erfurt und seiner Geschichte auseinander.

Mit Unterstützung der Politik wurde in Erfurt der Erinnerungsort Topf & Söhne auf dem ehemaligen Firmengelände realisiert.

Ich freue mich daher besonders, dass wir heute auch Frau Dr. Annegret Schüle hier begrüßen dürfen, die seit Anfang 2000 zu dem Thema forscht und mit ihren Arbeiten maßgeblich zum erfolgreichen Gelingen des gesamten Projektes beigetragen hat.

Und genauso ist es mir eine Freude, heute die Kulturdezernentin der Landeshauptstadt Erfurt, Frau Beigeordnete Kathrin Hoyer zu unseren Gästen zählen zu können.

Die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg, erst recht mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte, nämlich dem Holocaust und der systematischen Ermordung von Sinti & Roma, Kriegsgefangenen und Regimegegnern, ist den wenigsten Fällen einfach – aber dennoch notwendig.

In diesem Fall hatten die Handelnden aus Wissenschaft und Politik den Mut und Willen, das Kapitel Topf & Söhne zu beleuchten.

Topf & Söhne, ein mittelständischer Handwerksbetrieb aus dem Ende des 19. Jahrhunderts, konnte sich in der Branche des feuerungstechnischen Baugeschäfts schnell mit guter Arbeit durchsetzen und sich einen guten Namen erarbeiten. Mitte der 1930er Jahre übernahmen die Söhne Ernst Wolfgang und Ludwig Topf die Leitung des Familienbetriebes.

Das Firmenmotto „stets gern für Sie beschäftigt“ galt jedoch ohne zu Zögern und Einschränkungen auch für die SS, als diese einen Lieferanten für den Bau der Verbrennungsöfen in Buchenwald und später in Auschwitz suchte: Anfragen und Aufträge der SS wurden wie alle anderen auch behandelt; der neue Kunde sollte zufrieden gestellt werden.

Mehr noch: Bis 1945 arbeiteten die Ingenieure des Unternehmens in eigener Initiative eifrig daran, die Verbrennungsöfen in Auschwitz zu optimieren und somit die grausame Effizienz des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau noch weiter zu steigern.

Dabei belegen die in der Ausstellung gezeigten Dokumente, dass die Mitarbeiter von Topf & Söhne zweifelsfrei wussten, was vor sich ging und welchen Beitrag ihre Arbeit im Gesamtwerk der sogenannten „Endlösung“ leisten würde. In diesem Zusammenhang wurde auf Topf & Söhne weder äußerer Zwang ausgeübt noch arbeitete die Firma auf Befehl. Und da die Arbeiten für die SS auch nur etwa zwei Prozent des Gesamtumsatzes der Firma ausmachten, können auch wirtschaftliche Zwänge, Abhängigkeiten oder Notlagen nicht geltend gemacht werden.

Die Geschichte von Topf & Söhne ist daher eines dieser Beispiele, in denen sich die erschreckende Gleichgültigkeit von – in Anführungszeichen – "ganz normalen Deutschen" zeigt, wenn sie von Unbeteiligten oder Mitläufern zu Mittätern und Tätern wurden.

Die Geschichte von Topf & Söhne zeigt exemplarisch, wie Zivilisten und Ingenieure ihren beträchtlichen Anteil zum schlimmsten Kapitel der deutschen Geschichte beitrugen. Und wie sie dies so beiläufig und unaufgeregt taten, wie sie abends mit ihren Familien das Abendbrot aßen.

Es ist daher wichtig, nicht die Augen vor diesen Entwicklungen zu verschließen.

Es ist wichtig, Fragen nach Verantwortung, Handlungsspielräumen, Motiven und Schuld zu stellen.

Es ist wichtig aufzuzeigen, wie geräuschlos ein Unrechtssystem entstand, an dem letztlich alle beteiligt waren.

Die Aufarbeitung der Rolle der Privatwirtschaft ist ein wesentlicher Aspekt des Holocaust, brauchte es doch Expertise und Handwerk, um die technische Umsetzung der Mordmaschinerie zu gewährleisten. Der Erinnerungsort Topf & Söhne und die dazugehörende Ausstellung haben hierzu einen wichtigen Beitrag geleistet.

Die ab heute hier im Stadtmuseum am Markt zu sehende Sonderausstellung „Industrie und Holocaust: Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz“, also die internationale Wanderausstellung des Erinnerungsortes, ermöglicht nun den Besuchern und Besucherinnen außerhalb Erfurts einen Blick auf diese Thematik.

Die Ausstellung – und hier schließt sich dann der Kreis zu Wiesbaden – ist jedoch gleichzeitig auch für uns in Wiesbaden etwas besonders, da die Geschichte von Topf & Söhne auch mit unserer Stadt verknüpft ist:

Ernst Wolfgang Topf versuchte hier nach dem Krieg die Firma neu aufzubauen. Auch wenn dies aus den unterschiedlichsten Gründen nicht gelang, schlägt die Ausstellung an dieser Stelle einen unmittelbaren Bogen zur Nachkriegszeit, zum Umgang mit den Nationalsozialistischen Verbrechen in den späten 1940er und den 1950er Jahren und den damaligen Versäumnissen. Ich bin daher schon heute gespannt auf den Vortrag von Herrn Dr. Kratz am 15. Januar hier im sam zu genau diesem Thema.

Die Ausstellung im Stadtmuseum am Markt ist zu guter Letzt auch deshalb etwas Besonderes, da es von Anfang an integraler Teil des Ausstellungskonzeptes war, mit möglichst vielen Akteuren und Institutionen der Stadt zu kooperieren und ein reichhaltiges, informatives und innovatives Rahmenprogramm auf die Beine zu stellen.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stadtmuseums haben daher in Kooperation mit dem Aktiven Museum Spiegelgasse, dem Archiv für Jüdische Geschichte, Gewerkschaften, Archiven, Forschungseinrichtungen und der jüdischen Gemeinde – um nur einige wenige zu nennen – ein vielseitiges Begleitprogramm auf die Beine gestellt, welches sich mehr als sehen lässt: Vorträge, Lesungen, Rundgänge und Filmabende begleiten die Ausstellung durch ihre gesamte Laufzeit und erweitern den hier behandelten Diskurs um die unmittelbare Geschichte von Topf & Söhne auch um die Wiesbadener und die regionale Geschichte. Dafür an dieser Stelle schon heute meinen Dank.

Und wie es stets das Bemühen des Stadtmuseums ist, werden auch gezielt Schulen und junge Menschen angesprochen, sich mit der Thematik zu beschäftigen. So werden, durch Unterstützung des Erinnerungsortes, Material und spezielle Formate angeboten, um insbesondere Schülerinnen und Schüler die Beschäftigung mit dem Thema zu ermöglichen und sie zu sensibilisieren. Aber auch besondere Angebote der Lehrerfortbildung sollen den Schulen den Zugang zu diesem nicht einfach zu vermittelnden aber gleichauf wichtigen Thema ermöglicht.

Denn dies ist – wie ich es auch in meinem schriftlichen Grußwort formuliert habe – unser Auftrag und die Botschaft dieser Ausstellung an uns: Immer wieder seine eigene Verantwortung am Arbeitsplatz, in der Familie, in der Freizeit, also z. B. im Verein, mithin also in der Gesellschaft zu hinterfragen. Die Erinnerung wach zu halten. Uns jedoch nicht nur einfach an Geschichte zu erinnern und vergangene Ereignisse zur Kenntnis zu nehmen. Sondern für unsere heutige Zeit Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen.

In diesem Sinne wünsche ich dem Museum und allen Beteiligten eine gute Ausstellungszeit, viele interessierte Besucher und Besucherinnen, rege Gespräche und fruchtbaren Austausch.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.