Veranstaltungsbericht zur Begegnung mit Überlebenden am 27. Januar 2018

13.02.2018 09:47

Große Resonanz fand am 27. Januar, dem Internationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, die Veranstaltung „Begegnung mit Überlebenden von Buchenwald und Auschwitz“.

Publikum hört mehreren älteren Personen zu
Foto: Naftali Fürst, Heinrich Rotmensch, Agnès Triebel, Raymond Renaud und seine Übersetzerin, Günter Pappenheim (v. l. n. r.) Foto: © Stadtverwaltung Erfurt/Boris Hajduković

„Die Verbrechen der Nationalsozialisten haben auch nach über 70 Jahren ihre abgrundtief unmenschliche Dimension nicht verloren“, erklärte Dr. Annegret Schüle, Kuratorin des Erinnerungsortes, zu Beginn des Podiumsgespräches. „Umso wichtiger ist, dass die Überlebenden heute zu uns sprechen!“ So viele Bürgerinnen und Bürger wollten das Zeugnis der Überlebenden hören, dass neben den zahlreichen Gästen im 150 Personen fassenden Veranstaltungssaal weitere dutzende Menschen das Podium in einem weiteren Raum auf einer Videoleinwand verfolgten. Moderiert wurde die Veranstaltung von Agnès Triebel, Generalsekretärin des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos. Ihre Gesprächspartner waren hochbetagte Gäste, allesamt Opfer und Zeugen der nationalsozialistischen Verfolgung, allesamt einstige Häftlinge nationalsozialistischer Konzentrations- und Vernichtungslager: Raymond Renaud aus Frankreich, Naftali Fürst aus Israel, Heinrich Rotmensch aus Polen sowie der gebürtige Thüringer Günter Pappenheim.

Mit Freude konstatierte Agnès Triebel, die mit großer Empathie und Sachkenntnis das Gesprächspodium moderierte, dass zur vielköpfigen Besucherschar auch viele junge Menschen zählten. Zu Beginn stellte sie ihre Gesprächspartner vor und beschrieb in einer wahren „Chronologie des Schreckens“ den Leidensweg der vier Überlebenden. Damit machte sie die beklemmende Aneinanderreihung von Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen deutlich, welche die vier Gäste und ihre Familienangehörigen, von denen viele den Holocaust nicht überlebten, erdulden mussten. Dann hatten Raymond Renaud, Heinrich Rotmensch, Naftali Fürst und Günter Pappenheim das Wort. Von Agnès Triebel mit großer Sensibilität befragt, berichteten sie über die Schrecken und Grausamkeiten ihrer Zeit in den Lagern, schilderten aber auch, wie unter den Häftlingen Solidarität erfahren wurde – Menschlichkeit inmitten einer Welt der Unmenschlichkeit.

Von Züchtigung und Essensentzug wusste der 95-jährige Raymond Renaud zu berichten, der bei seiner nächtlichen Ankunft 1943 in Buchenwald gleich einen Eindruck von der Unermesslichkeit des Grauens im Lagers verspürte – hoch ragte der Kamin des Krematoriums in die Luft, als er erstmals das Lager betrat und kurz darauf von einem Mithäftling über die todbringende Funktion der monströsen Anlagen aufgeklärt wurde. Von Misshandlungen während seiner Lagerhaft wusste auch Heinrich Rotmensch zu berichten. Ihn hatte die SS, wie er es eindrücklich nannte, förmlich „weggeraubt“, um ihn später in das KZ Fünfteichen und dann nach Buchenwald zu bringen. Lang war auch die Leidenszeit von Günther Pappenheim, der bereits mit der Machtergreifung der Nazis 1933 Ausgrenzung und Diskriminierung erlebte. Sein Vater wurde schon 1934 im KZ ermordet und er selbst kam als 17-jähriger nach Buchenwald. Schon als Kind erlebte Naftali Fürst, der jüngste der vier betagten Zeitzeugen, die Schreckenszeit in Auschwitz und Buchenwald. „Vielen Wundern“ so sagte er, verdankte er die Tatsache seines Überlebens im Kinderblock der Lager.

Wie die anderen Überlebenden brauchte Naftali Fürst lange Zeit, um nach der Befreiung 1945 über die Leiden sprechen, anderen Menschen seine Geschichte als Mahnung erzählen und Orte der Verbrechen und Täterschaft besuchen zu können. Als er das erste Mal den Erinnerungsort Topf & Söhne betrat, war er geschockt über die Geschichte, die sich an diesem Täterort offenbarte: Wie konnten Menschen, die in dem Erfurter Unternehmen arbeiteten, die Familien hatten und nach außen einen vermeintlich „normalen“ Arbeits- und Lebensalltag lebten, Öfen und Entlüftungsanlagen für Vernichtungslager bauen, die zur Ermordung abertausender Menschen dienten?

Für Toleranz und Menschlichkeit in den heutigen europäischen Gesellschaften sprachen sich die vier Zeitzeugen nachdrücklich aus – und wurden darin unterstützt durch die Ausführungen Dominik Durands, Sohn eines Buchenwald-Häftlings und Präsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos. Er beschwor die Besucher, angesichts der Erkenntnisse aus der schreckensreichen Geschichte Humanität als kostbares Gut für die Gegenwart zu bewahren und für die Zukunft zu sichern.

Musikalische Kunst mit ernstem Hintergrund bildete anschließend den Schlusspunkt der Gedenkveranstaltung am Erinnerungsort. Sein 20. Konzert aus der Reihe „Vergessene Genies" mit Quartetten aus Theresienstadt präsentierte das Ensemble Majore des Kammermusikvereins Erfurt e.V. Eugen und Gundula Mantu sowie Kerstin Schönherr brachten in den späten Nachmittagsstunden Werke der Komponisten Gideon Klein, Zikmund Schul, Erwin Schulhoff und Hans Krása zur Aufführung – Werke, welche die Musiker im Konzentrationslager Theresienstadt geschaffen und aufgeführt hatten. Kurze Schilderungen mit biographischen Skizzen aus dem im Nationalsozialismus zerstörten Leben der Komponisten umrahmten die mal melancholischen, mal durchaus lebhaften Klänge – melodische Zeugnisse für das mutige und lebensbejahende Wirken von Menschen, die in Zeiten größter Bedrohung Trost und Lebensmut in der Kunst fanden.