Erster Gedenktag für die Opfer rechter Gewalt in Erfurt
Hintergrund
Seit 1990 starben in Erfurt mindestens drei Menschen durch rechte Gewalttaten:
Heinz Mädel (58), wurde 1990 homofeindlich beleidigt, attackiert und so schwer verletzt, dass er wenige Tage später verstarb.
Ireneusz Szyderski (24), ein polnischer Erntehelfer, wurde 1992 aus rassistischen Motiven von Neonazis brutal misshandelt und starb auf dem Weg ins Krankenhaus.
Hartmut Balzke (48), wurde 2003 bei einem Angriff von Neonazis so schwer verletzt, dass er zwei Tage später im Krankenhaus starb.
Sie stehen stellvertretend für zahlreiche Menschen, die bis heute aus Motiven gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit Gewalt, Bedrohungen und Ausgrenzung erfahren. Nach Recherchen von ezra, der Thüringer Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, gibt es in Thüringen seit 1990 mindestens zwölf Todesopfer rechter Gewalt. Staatlich anerkannt ist bislang nur eine Person. Eine solche staatliche Anerkennung bedeutet, gesellschaftliche Verantwortung für die rechten Gewalttaten, Tötungen und Morde zu übernehmen. Daher ist es geboten, auch die anderen elf Menschen als Todesopfer rechter Gewalt anzuerkennen.
„Dass die Stadt Erfurt den Gedenktag an die Opfer rechter Gewalt unterstützt, ist ein erstes wichtiges Signal an (potenziell) Betroffene, Angehörige und die Stadtgesellschaft insgesamt. Ein offizielles, würdiges Gedenken trägt zur gesellschaftlichen Verantwortungsübernahme bei“, erklärt Elena Kiesel von Blinde Flecken e.V. Erfurt. „Dieser Tag ist eine Errungenschaft von Gedenkinitiativen, Selbstorganisationen und Zivilgesellschaft, die seit Jahren für mehr öffentliches Bewusstsein für Betroffene rechter Gewalt kämpfen“, so Elena Kiesel weiter.
Andreas Horn, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Erfurt, erklärt: „Mit diesem Gedenktag setzen wir in Erfurt erstmals ein sichtbares Zeichen für die Erinnerung an die Opfer rechter Gewalt und geben ihrem Schicksal einen festen Platz im öffentlichen Bewusstsein unserer Stadt. Erinnerung bedeutet für uns auch Verantwortung – für ein demokratisches und weltoffenes Erfurt.“
Programm und Themenschwerpunkte
- 12:00 Uhr: Begrüßung und Gedenken
- 13:00 Uhr: Ehemalige Vertragsarbeitende in Erfurt – eine Perspektive auf Zeitzeugenarbeit (Migranetz, ISD und Decolonize Erfurt)
- 14:00 Uhr: Staatliche Anerkennung von Todesopfern rechter Gewalt – Folgen für Hinterbliebene und Herausforderungen im Prozess (ezra)
- 16:00 Uhr: Erinnern heißt verändern. Stimmen gegen das Vergessen. (LaFit, Liga Selbstvertretung)
- 17:30 Uhr: Queere Erinnerungskultur und Gewaltkontinuitäten – vom Nationalsozialismus bis in die Gegenwart (QueerWeg e.V.)
- Infostände verschiedener Organisationen
Der Gedenktag will nicht nur an die Opfer erinnern, sondern deutlich machen, dass rechte Gewalt kein Randthema ist und eine akute gesamtgesellschaftliche Herausforderung darstellt. Die Lage ist ernst: 2024 verzeichnete ezra mit über 200 rechten, rassistischen und antisemitischen Angriffen einen Höchststand. Diese Entwicklung macht deutlich, dass rechte Ideologien und Gewalt in Thüringen eine reale Bedrohung darstellen.
Weitere Informationen und vollständiges Programm
Veranstaltende
Blinde Flecken e.V. Erfurt engagiert sich insbesondere in der Erforschung und der Darstellung von menschenfeindlicher Gewalt und ihrer Wechselwirkung mit der Gesellschaft. Der Verein stärkt die Perspektive von marginalisierten Gruppen, indem wir über, sondern mit betroffenen Menschen gesprochen wird. Ein wesentlicher Kern der Arbeit des Vereins stellt dabei das jährliche Gedenken an die drei Todesopfer rechter Gewalt in Erfurt, Heinz Mädel, Ireneusz Szyderski und Hartmut Balzke, dar. Der Verein bietet historisch-politische Bildungsarbeit zur Aufklärung und Aufarbeitung rechter Gewalt an.
Ezra unterstützt seit April 2011 Menschen, die angegriffen werden, weil Täterinnen und Täter sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“. Ezra arbeitet in Trägerschaft des re:solut e.V. (Rundum engagiert: solidarische Unterstützung in Thüringen e.V.), einem selbstständigen Werk der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM).
Das DGB-Bildungswerk Thüringen e.V. (BWT) ist ein gemeinnütziger Verein und anerkannter Träger der Erwachsenenbildung in Thüringen. Gegründet wurde das BWT im Jahre 1990 von engagierten Bildungsarbeiterinnen und -arbeitern.
Der Vielfalt Leben – QueerWeg Verein für Thüringen e. V. setzt sich für die Belange von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans*, inter*, nicht-binären und anderen queeren Menschen (LSBTIQ*) in Thüringen ein. Mit verschiedenen Projekten und Veranstaltungen trägt der Verein zu mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz für LSBTIQ* in Thüringen bei.
Der Landesverband der Migrantinnen- und Migrantenorganisationen – MigraNetz Thüringen e.V. (MNT) wurde im Jahre 2015 gegründet und vertritt die politischen, sozialen und kulturellen Interessen von derzeit 70 Mitgliedsorganisationen aus Migrantenorganisationen sowie der kommunalen Migrations-, Integrations- und Ausländerbeiräte im Freistaat Thüringen. Insgesamt repräsentiert MNT mehr als 3.000 Einzelmitglieder aus den vielfältigen Communities. MNT ist ein transnationaler, heterogener und multiethnischer Verband von Menschen aus mehr als 100 Herkunftsländern.
Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) wurde 1985 ins Leben gerufen und ist inzwischen eine der ältesten Selbstorganisation von und für Schwarze Menschen in Deutschland. Sie setzt sich für die Rechte und die politische Partizipation Schwarzer Menschen ein und kämpft gegen jede Form von institutionellem und strukturellem Rassismus. Ebenso treten wir für eine umfassende Aufarbeitung der deutschen bzw. europäischen Kolonialgeschichte. 2001 wurde ISD Bund e.V. als Dachverband für alle lokalen ISD-Gruppen gegründet und fungiert seitdem als Netzwerkverbund.
Die Liga der politischen Interessen- und Selbstvertretung von Menschen mit Behinderungen in Thüringen e.V. und der Dachverband der Selbstvertretungs-Organisationen von Menschen mit Behinderungen in Thüringen: Als Ansprechpartner von Menschen mit Behinderungen in Thüringen, aber auch von Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit begleiten sie als Experten in eigener Sache die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und des Bundesteilhabegesetzes in Thüringen. Sie möchten mit ihrem Handeln die Stimme der Verbände behinderter Menschen stärken.
Der Landesverband für Frauen mit Behinderung in Thüringen (LaFiT) ist die politische Interessenvertretung von und für Frauen mit Behinderung. Der Verband setzt sich für die Umsetzung der Gleichstellung von Frauen und für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Thüringen ein.
Quelle: gemeinsame Pressemitteilung der Veranstaltenden und der Landeshauptstadt Erfurt als Unterstützerin