Thüringer Allgemeine: Wie deutsche Ingenieurkunst aus Erfurt den Massenmord perfektionierte

15.11.2017 10:00

Topf & Söhne: 30.000 Besucher sahen in der Holocaust-Gedenkstätte Auschwitz, wie deutsche Ingenieurkunst den Massenmord perfektionierte.

von Elena Rauch

Erfurt. "Das Belüftungs-Gebläse Nr. 450 für den Gaskeller ist dort nicht aufzufinden, obwohl es angeblich bei uns abgegangen ist", teilte am 17. Februar 1943 Abteilungsleiter Karl Schultze seiner Geschäftsführung in Erfurt mit. Der Ingenieur, angestellt bei "Topf & Söhne", weilte in dienstlichen Angelegenheiten in Auschwitz. Das Erfurter Traditionsunternehmen belieferte ab 1942 das NS-Vernichtungslager Auschwitz nicht nur mit Verbrennungsöfen, es rüstete die Gaskammern mit Belüftungsanlagen aus. Pünktlich, dienstbeflissen, banal und ohne Scham.

Seit sieben Jahren beschäftigt sich der Erfurter Gedenkort "Topf & Söhne" mit diesem dunklen Kapitel der Stadtgeschichte. Eine Ausstellung entstand, die auf 35 Tafeln diese Geschäftsbeziehung mit dem Massenmord bezeugt.

Sechs Monate lang war sie an dem Ort zu sehen, wohin das Unternehmen seine Technik lieferte. Am Ort der Schuld. Eine Ausstellung, die so detailliert die Mittäterschaft deutscher Ingenieure und Geschäftsleute dokumentiert, war in der Gedenkstätte Auschwitz bislang singulär. Eine wichtige Ergänzung zur Holocaustforschung – so werten es die Mitarbeiter der Gedenkstätte in Auschwitz, weiß Sophie Eckenstaler. Gerade ist die Erfurter Projektmanagerin aus Polen zurückgekehrt, um die Wanderausstellung wieder nach Erfurt zu holen. Etwa 30.000 Menschen haben sie in Auschwitz gesehen. Meist Einzelbesucher, und wer kam, nahm sich auch viel Zeit, hatten ihr die Mitarbeiter gesagt.

Ein bislang wenig dokumentierter Aspekt

Diese Erfurter Ausstellung entkräftet Argumente, wonach die deutsche Zivilgesellschaft nichts vom industriellen Massenmord der NS-Machthaber gewusst habe. Weil sie detailliert nachweist, wie sich der Holocaust auf ein komplexes System von Mittätern aus der Mitte der Gesellschaft stützte. Dieser Aspekt sei von den Mitarbeitern in der Gedenkstätte immer wieder betont worden. Und sie seien angetan gewesen, wie diese Vergangenheit und den Umgang mit ihr selbstkritisch reflektiert werde, sagt Sophie Eckenstaler. Denn die Schautafeln dokumentieren nicht nur die erschütternde Selbstverständlichkeit, mit der in Erfurt dieses Geschäft mit dem Massenmord betrieben wurde. Sie erzählen auch vom Werdegang eines Erinnerungsortes, mit dem sich die Stadt lange schwer tat.

Was bleibt nach diesen sechs Monaten? Annegret Schüle, Leiterin des Erinnerungsortes, setzt auf Nachhaltigkeit. Für die polnischen Kollegen, die jedes Jahr etwa zwei Millionen Besucher aus der ganzen Welt durch Auschwitz führen, sei der Fokus der Erfurter Ausstellung auch eine Weiterbildung gewesen. Ergänzendes Wissen darüber, wie der Holocaust systematisch organisiert und getragen wurde. Die Erfurter Erinnerungsstätte habe sich auch als Forschungsstätte zeigen können, so Annegret Schüle. Derzeit wird in Auschwitz die Dauerausstellung neu konzipiert. Möglich, dass sich auch der besondere Aspekt des kleinen Erinnerungsortes wiederfindet.

Die 35 Schautafeln selber, nachempfunden den Zeichentischen der Erfurter Ingenieure, werden im kommenden Jahr in Mainz und Wiesbaden gezeigt. Kontakte gibt es auch in die USA. Dort hat ein Netzwerk, das sich der Erforschung und der Erinnerung des Holocaust widmet, Interesse signalisiert.

Foto: Annegret Schüle (links) und Sophie Eckenstaler im Erfurter Gedenkort "Topf & Söhne"